Interview mit Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer in NRW

 

Nur wer geschlossen organisiert ist wird bedeutsam und sichtbar für die Politik und kann so Einfluss auf die beruflichen Belange nehmen.


 Berufsgesetz  -  Ausbildungsstruktur  -  Berufsordnung  -  Berufsbild  -  Berufliches Selbstverständnis


 

Wir fragen Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer der Architektenkammer in Nordrhein-Westfalen, einer Kammer, in der vier verschiedene Berufsgruppen zusammengefasst sind, wie uns hier eine Kammer in Bezug auf den Status unserer Rahmenbedingungen weiterhelfen könnte.

 

Berufsgesetz

Die Berufsgesetze unserer Berufe sind alt und regeln die Ausbildungen nicht mehr entsprechend den heutigen Anforderungen. Eine Überarbeitung ist dringend nötig. Verbände treten für eine Novellierung ein, aber das reicht nicht aus.

 

Herr Lehrmann, inwieweit kann eine Kammer darauf Einfluss nehmen?

 

Eine zentrale Aufgabe der Kammer ist die Beratung der Politik. Sie sind eine durch die Verbände getragene Selbstverwaltungsorganisation der Berufsstände, und Kammern haben sogar die Verpflichtung, Politik bei Gesetzgebungsverfahren zu beraten. Verkürzt ausgedrückt: Der Gesetzgeber ist an Meinungen interessiert und bedient sich dabei der Selbstverwaltungskörperschaften, die Kraft ihrer demokratisch parlamentarischen Verfasstheit mit einer Stimme sprechen. Kammern arbeiten im Auftrag des Parlaments und auf einer gesetzlichen Grundlage – in unserem Fall auf Basis des Baukammerngesetzes NRW.

 

Um den fundierten Dialog überhaupt führen Sie können, braucht man fachliche Expertise. Über diese Fachlichkeit verfügen Kammern durch Berufsstandvertreter, Juristen, Betriebswirte und Politikwissenschaftler.

 

Der Berufsstand kann sich also auf eine starke Interessenvertretung verlassen und die politischen Mandatsträger auf eine abgestimmte Meinung. Eine vorausschauend arbeitende Kammer ist insofern wirksamer, als es einzelne Verbände sein können, denn am Ende setzen sich nie viele unterschiedliche Meinungen durch, sondern starke und abgestimmte Positionen.

 

Voraussetzung ist natürlich, dass auch wirklich ein Gesamtinteresse einer Berufsgruppe formuliert wird. Der Weg dorthin ist zuweilen steinig, am Ende aber aus Sicht der Absender und Empfänger der Botschaften lohnenswert.

 

Nachfrage: Wie muss die Kammer denn verfasst sein, um ein Gesamtinteresse zu erreichen?

 

Es braucht in erster Linie ein Parlament, das aus Vertretern der unterschiedlichen Berufsgruppen besteht, die in der Kammer zusammengebunden werden sollen. Dort findet die eigentliche Meinungsbildung statt. Es empfiehlt sich aus Gründen der demokratischen Effizienz, dass Listen oder Verbände um die Plätze im Parlament ringen, nicht Einzelpersonen. Aus dem Kreise der Parlamentarier wird die Regierung bzw. der Vorstand gewählt. Dem Vorstand sitzt eine Präsidentin oder ein Präsident vor. Die inhaltliche Vorbereitung von Vorstandsbeschlüssen erfolgt in Ausschüssen und anderen Gremien.

 

Diese Struktur ist aus Kommunal-, Landes- oder Bundesparlamenten geläufig und hat sich bewährt. Wichtig: Meinungsträger in den Parlamenten sind die Verbände. Sie bilden das Fundament der berufsständischen Selbstverwaltung.

 

Ausbildungsstruktur 

Die Zukunft unserer Ausbildungsstruktur ist unklar. Berufsfachschule, Hochschule oder beides? In Europa sind wir die einzigen, die noch keine grundständige Akademisierung haben.

 

Frage: Welchen Einfluss kann eine Kammer auf die Ausbildungsstruktur nehmen?

 

Der Einfluss auf die Ausbildungsinhalte geschieht nie direkt. Die Freiheit der Wissenschaft und Lehre deutscher Hochschulen ist wichtiges und schützenswertes Gut. Auch Kammern mischen sich hier nicht ein. Der Einfluss findet jedoch mittelbar durch die Zugangsvoraussetzungen in die Kammer statt. Schlüsselbegriff ist der Titelschutz.

 

Lassen Sie mich das am Beispiel der Architektinnen und Architekten verdeutlichen: Wenn ein Studium der Architektur oder Stadtplanung nicht mehr alle Ausbildungsinhalte abdeckt, die zu einer Eintragung in die Liste der Architekten erforderlich sind, entsteht Handlungsbedarf bei den Hochschulen. Denn schließlich wollen sie ja den Zugang zum Titel „Architekt“ oder „Stadtplaner“ eröffnen, der übrigens Voraussetzung bspw. für die Beantragung einer Baugenehmigung ist.

 

Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen. Hochschulen und Berufsstand haben sich inzwischen zum Akkreditierungsverbund für Studiengänge der Architektur und Planung (ASAP) zusammengeschlossen. Ziel ist die europaweite Förderung der Qualitätssicherung in Lehre und Studium an Hochschulen durch Akkreditierung. ASAP entwickelt qualitative Kriterien zur Akkreditierung für Studiengänge der Architektur und Stadtplanung.

 

Berufsordnung

Wir Therapeuten haben nur empfehlende Berufsordnungen von den Verbänden. Mit einer Kammer würde es eine verbindliche Berufsordnung geben.

 

Frage: Was wird in der Berufsordnung der Architekten geregelt, und welche Auswirkung hat das für Architekten und ihre Bauherren?

 

Die Berufsordnung für Architektinnen und Architekten, für Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner ist ein Landesgesetz, d.h. eine durch den Landtag beschlossene verbindliche Norm. Das „Baukammerngesetz NRW“ erfüllt den Anspruch der Klarheit, Beständigkeit und Vorhersehbarkeit, formuliert im Gegenzug konkrete Rechtspflichten und Berechtigungen. Unsere Berufsordnung ist damit ein wichtiger Teil unserer rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung. Damit erfüllt es verbindlich den Wesenskern freier Berufe: Gemeinwohlverpflichtung und Eigenverantwortlichkeit.

 

Berufspflichten, bspw. die Versicherungs- und Fortbildungspflicht, sind genauso geregelt wie eine Wohlverhaltenspflicht gegenüber allen Trägern des Titels. Ebenso werden in der Berufsordnung die Eintragungsvoraussetzungen für die jeweiligen Listen (Architekten, Innenarchitekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner) definiert. Im selben Gesetz wird im Übrigen auch geregelt, dass über die Eintragung und Löschung im Falle von Verstößen der sog. Eintragungsausschuss entscheidet; weisungsfrei und unabhängig.

 

Die Tragweite einer verbindlichen Berufsordnung ist kurz erklärt: Wettbewerbsgleichheit für alle Inhaber des geschützten Titels „Architekt“ bzw. „Stadtplaner“ und Verbraucherschutz für die Bauherren.

 

Achtung: Die Verleihung des geschützten Titels ist nicht mit einer Berufszulassung zu verwechseln. Jedermann darf eine „Irgendwieplanung“ für Gebäude erstellen, einen Bauantrag einreichen darf aber nur der qualifizierte Experte, sprich Architekt. Das ist eine geschickte Abgrenzung, da die Berufsfreiheit gewahrt bleibt und nur die Sphäre gefahrgeneigter Tätigkeiten reguliert wird.

 

Berufsbild

Das Berufsbild umfasst die Beschreibung aller Tätigkeiten, die in der Ausbildung und Ausübung eines spezifischen Berufs ausgeführt werden, soweit die Theorie, in der Praxis haben wir hier mindestens drei unterschiedliche Kompetenzausrichtungen, je nach erfolgter Ausbildung, 

Berufsfachschule              (DQR4) = reflektierte Praktiker

Hochschule                       (DQR6-8) eigenverantwortliche Prozesse steuern, wissenschaftliches Arbeiten und mehr

nach dem Berufsgesetz = Heilhiflsberuf§1Abs. 1 Nr.2 (MPhG)

 

Frage: Warum ist die Definition eines Berufsbildes wichtig?

 

Ein definiertes Berufsbild hat zwei Wirkungsrichtungen, eine Innen- und eine Außenwirkung. Überaus wichtig ist es, die Fachrichtungen gegeneinander abzugrenzen. So wird bspw. bei uns intensiv um die Frage gerungen, wo Stadtplanung aufhört und die Landschaftsarchitektur einsetzt. Ein abgegrenztes Berufsbild dient auch der inneren Befriedung.

 

Auch nach außen ist ein verbindliches Berufsbild von überaus wichtiger Bedeutung, um Antworten auf die europäische Binnenmarktstrategie zu finden. Deren erkennbares Ziel ist es, dass die Mitgliedstaaten ihre länderspezifischen Reglementierungen auf ein möglichst niedriges Niveau senken sollen. Damit hat die EU-Kommission den Wettbewerb um möglichst niedrige Standards eröffnet. Gerade für freie Berufe ohne verbindliche Berufsordnung ist die Ausgangslage in diesem Wettbewerb miserabel. Größte Verlierer dieses Wettlaufs in die falsche Richtung sind aber die Qualität der Dienstleistung und damit unmittelbar alle Empfänger der Dienstleistung, d.h. Mandanten, Patienten, Auftraggeber, Kunden.

 

Nicht zuletzt ist ein klar definiertes Berufsbild auch im öffentlichen Diskurs und in der politischen Debatte besser zu kommunizieren. Eine starke Stimme ist besser zu vernehmen als viele schwache.

 

Berufliches Selbstverständnis

Warum und wie sich ein Beruf versteht, hängt eng mit seiner Entstehungsgeschichte, der Art der Ausbildung zusammen. Unser berufliches Selbstverständnis ist sehr heterogen und scheint sich zwischen Professionalisierungsprozess und verankerten veralteten Berufsgesetzen - im Schwebezustand zu befinden.

 

Frage:  Wie würden Sie das berufliche Selbstverständnis Ihrer Kammermitglieder beschreiben? Woraus entwickelt sich das?

 

Das berufliche Selbstverständnis der Architektinnen und Architekten bzw. der Stadtplanerinnen und Stadtplaner wird schon in den ersten Stunden des Studiums angelegt. Eine inspirierende Atmosphäre, der Einfluss der lehrenden Persönlichkeiten und der studentische Diskurs vermögen es, eine Idee vom zukünftigen Beruf, aber auch eine Haltung zu vermitteln. Architektur und Stadtplanung sind dienende Disziplinen, zu dessen Ausführung ein hoher kultureller und fachlicher Hintergrund erforderlich ist. Gebraucht werden selbstbewusste Persönlichkeiten, der ihre Professionalität mit dem Anspruch der Gemeinwohlverpflichtung verbinden.

 

Kein Bauwerk, kein öffentlicher Raum, kein Park kann sich der öffentlichen Wahrnehmung entziehen. Insofern ist das Bauen nie allein die Verwirklichung von Einzelinteressen der Bauherren. Am Ende prägen die gebauten Ergebnisse das Antlitz unserer Städte und Dörfer. Architekten und Stadtplaner sind somit immer auch Vermittler und im Ergebnis möglichst häufig die Verursacher baukultureller Werte.

 

Nachfrage: Wie kann man das auf die Therapeuten übertragen?

 

Unabhängig von der Frage, ob Architekten für die Bauherren, Therapeuten für die Patienten tätig sind: Freie Berufe sind die Sachwalter von Interessen Dritter. Diese hohe Verantwortung eint, ist aber gleichzeitig auch ein Auftrag. Ein Auftrag, die Berufsbezeichnungen vor Missbrauch zu schützen und die Systemrelevanz der Berufsgruppe der Therapeuten zu beweisen. Wie? Durch eine eigenverantwortlich verfasste Gesamtorganisation. 

 

Frage: Was würde sich grundsätzlich für Therapeuten, Patienten und die Politik mit der Gründung einer Therapeutenkammer verändern?

 

Die gesamte Berufsgruppe hätte eine einheitliche und damit hörbare Stimme. Das ist gut für das Selbstbewusstsein der Therapeuten und zugleich wichtig für die politischen Mandatsträger, die die berufspolitischen Rahmenbedingungen schaffen und laufend anpassen müssen. Profitieren würden schließlich auch die, die sich auf das Wissen der Spezialisten verlassen müssen: die Patienten.

 

Lieber Herr Lehrmann, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das Interview genommen haben.

                                                                                                                                         TKNRW e.V. DHK


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